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Digitalisierung auf Dänisch

LESEZEIT 5 MINUTEN

März 24, 2022

Dänemark bahnt sich seinen Weg der Digitalisierung durch eine komplexe Landschaft vieler Akteure. Von richtungsweisender Bedeutung ist dabei die Digitalagentur DIGST, die auf allen Governance-Ebenen involviert ist und so eine zielgerichtete digitale Transformation sicherstellt. Für die Weiterentwicklung der deutschen Digitalisierungs-Governance ergeben sich hieraus spannende Impulse.

Eine gelungene Digitalisierung braucht eine Schaltstelle, an der alle Fäden zusammenlaufen – dies war die Kernerkenntnis unserer im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 veröffentlichten Studie „Digitalland Deutschland – Blick nach außen, Fokus nach vorn“. Durch die Betrachtung der digitalen Spitzenreiter Europas konnten wir Schlüsselfaktoren erfolgreicher Governance-Modelle identifizieren und Impulse für die Neuaufstellung der Digitalisierungs-Governance in Deutschland liefern.

Die Analyse von Finnland, Irland und den Niederlanden ergab, dass es in diesen Ländern einen Akteur gibt, der die Digitalisierungs-Governance aus einer der drei Governance-Ebenen – Policy, Koordination, Implementierung – heraus gesamthaft prägt. Sowohl vor als auch nach der Bundestagswahl gilt: Das deutsche Governance-Modell besitzt eine solche Schaltstelle nicht. Wie kann es (dennoch) gelingen, die ambitionierten digital-politischen Ziele des neuen Koalitionsvertrags umzusetzen?

Hierzu lohnt sich ein Blick in Richtung Dänemark. Dänemarks Digitalisierungs-Governance ist ähnlich zergliedert wie die Deutschlands. Dennoch sind die Skandinavier seit Jahren Vorreiter in der Verwaltungsdigitalisierung: Im DESI-Ranking liegt unser nördliches Nachbarland inzwischen übergreifend auf Platz eins und im Bereich Digital Public Services auf Platz zwei.

Also ein Digitalisierungserfolg ohne Schaltstelle? Nein. Dänemark nutzt einen alternativen Ansatz: Während die anderen digitalen Spitzenreiter ihre Digitalisierungs-Governance durch ebenenspezifische Akteure harmonisieren – also durch prägende Schaltstellen entweder auf Policy-, Koordinations- oder Implementierungsebene – nutzt Dänemark einen ebenenübergreifenden Akteur. Die Agency for Digitisation („DIGST“) ist auf allen drei Governance-Ebenen angesiedelt und spannt damit eine Brücke von der politischen Idee bis zur praktischen Umsetzung. Die DIGST stützt sich hierbei insbesondere auf umfassende Stakeholder-Integration, zielgerichtete Zusammenarbeitskoordination und ein standardisiertes Projektmanagement. Dieser Blogartikel zeigt, wie dieses Modell funktioniert und was Deutschland von Dänemark lernen kann.

Eine starke Brücke von der politischen Idee bis zur praktischen Umsetzung

Die DIGST wurde 2011 gegründet, ist dem Finanzministerium zugeordnet und begleitet sämtliche staatliche Digitalisierungsvorhaben in strategischer, fachlicher und technischer Hinsicht. Sie selbst beschreibt sich als „Motor“ der digitalen Transformation Dänemarks.

Auf der politischen Ebene arbeitet die DIGST insbesondere in enger Abstimmung mit dem Finanzministerium an der grundlegenden Ausrichtung der dänischen Digitalisierungsziele. Die Vision eines digitalen öffentlichen Sektors versteht die DIGST jedoch nicht nur als reine Verwaltungsaufgabe, sondern als Gemeinschaftsanstrengung, die nur im Zusammenspiel mit der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft bewältigt werden kann. So stellt beispielsweise auch die von der DIGST herausgegebene nationale Digitalisierungsstrategie das Zusammenwirken öffentlicher und privater Akteure für ein digitales Dänemark in den Fokus.

Auf der Koordinationsebene agiert die DIGST primär als Managerin der beteiligten Stakeholder. Zum einen fördert sie den sektor- sowie ressortübergreifenden Austausch, um kontinuierlich Synergie- und Kollaborationspotenziale zu erschließen. Zum anderen setzt sie Rahmenbedingungen, um ein abgestimmtes Vorgehen sowie die Anschlussfähigkeit einzelner Digitalisierungsinitiativen sicherzustellen. Ein Beispiel dafür sind die von der DIGST geleiteten ressortübergreifenden Steuerungskomitees zur kohärenten Umsetzung der dänischen Digitalstrategie und zur Sicherung der Interoperabilität aller Digitalvorhaben.

Auf der Implementierungsebene übersetzt die DIGST die strategischen Ziele in konkrete Projektvorhaben. Das Mandat variiert hierbei je nach Projektauftrag und reicht von der unterstützenden Begleitung von Digitalisierungsvorhaben bis zur alleinigen Umsetzungsverantwortung. Mit Blick auf die operativen Implementierungsaktivitäten verfügt die DIGST über diverse Fähigkeiten und Ressourcen. Beispielhaft dafür sind die Bereitstellung externer Fachexpertise und das eigens für die dänische Verwaltung entwickelte standardisierte Projektvorgehen (ICT project model). Letzteres trägt durch integrierte Projektstatuskontrollen in Form eines Ampelsystems aktiv zur Verringerung der Projektverzögerungen und Budgetüberschreitungen sowie einer Qualitätssicherung innerhalb der Verwaltung bei.

Grafik Digitalisierung auf Daenisch
Grafik Digitalisierung auf Daenisch

Abbildung: Die ebenenübergreifende Verortung der DIGST innerhalb der dänischen Digitalisierungs-Governance

Die digitale Bürgeridentität „MitID“: ein Erfolg des dänischen Governance-Modells

Das konkrete Wirken der DIGST wird am Beispiel des Weiterentwicklungsprozesses der digitalen Bürgeridentität MitID deutlich. Die MitID ist aktuell das größte staatliche IT-Projekt Dänemarks. Im Rahmen des Projektes werden existierende öffentliche und private Authentifizierungsdienste in einer digitalen Identitätslösung gebündelt. Dadurch sollen Sicherheit, Servicequalität und Nutzerorientierung digitaler Services für Bürger:innen gesteigert werden – ein zentrales Ziel der Digitalstrategie Dänemarks. Derzeit wird die digitale Identitätslösung bereits von ca. 80 Prozent der Däninnen und Dänen genutzt. Die Einführung soll bis Mitte 2022 flächendeckend abgeschlossen sein.

Durch ihre ebenenübergreifende wie auch verbindende Ausrichtung trägt die DIGST maßgeblich zum Erfolg des Vorhabens bei. Auf der Policy-Ebene hat die DIGST die politische Zielsetzung mitgestaltet. Von Beginn an war dabei eine hohe Nutzerorientierung die Leitmaxime. In Form zweier Stakeholder-Dialoge mit der Bevölkerung und Vertretern des Privatsektors wurden die grundlegenden fachlichen Anforderungen an den Service aufgenommen. Hierbei ergab sich unter anderem, dass der Schutz gegen interne und externe Sicherheitsverstöße sowie eine größere Benutzerfreundlichkeit für Unternehmen und Privatpersonen zentrale Anforderungen an die MitID waren. Auf Basis der anschließenden Zielbildentwicklung erfolgte die politische Umsetzungsentscheidung. Diese umfasste die Budgetierung des Vorhabens seitens des Finanzministeriums sowie die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes, das die DIGST mit der Umsetzung der MitID beauftragte.

Nach der erfolgten Projektausschreibung fokussierte sich die DIGST in ihrer Koordinationsfunktion darauf, die beteiligten Stakeholder kontinuierlich einzubinden und den Umsetzungsprozess zu moderieren. Dies erfolgte durch verschiedene Kooperationsformate mit Stakeholdern relevanter Ministerien, Industrien und Sektoren. Beispielhaft hierfür steht die Gründung einer Public-Private-Partnership mit dem Bankenverband Finans Danmark. Diese diente dem Ziel, die Anwendung der MitID im Bankenumfeld einzuführen. Gleichzeitig setzte die DIGST klare Rahmenbedingungen der Lösungsgestaltung. So waren unter anderem die Einhaltung übergreifender Prinzipien der Nutzerorientierung wie auch die Wahrung der Kompatibilität mit den europäischen Sicherheitsvorgaben der eIDAS-Infrastruktur, der EU-Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste, verbindliche Umsetzungsbedingungen.

Im Bereich der Implementierung hat die DIGST zudem mit dem ICT project model ein Projektmanagement-Rahmenwerk für den Entwicklungsprozess der MitID bereitgestellt. Mithilfe regelmäßiger Statusberichte wurden potenzielle Projektverzögerungen oder Budgetüberschreitungen frühzeitig identifiziert und mitigiert. So konnten beispielsweise in der Entwicklungsphase festgestellte Sicherheitsrisiken bei der Nutzerauthentifizierung umgehend adressiert werden. Weiterhin wurde die Implementierung unterstützt durch den Einbezug von Fachexpertinnen und -experten des DIGST-internen Centre for Digital Identities, unter anderem zum Aufbau eines begleitenden Veränderungsmanagements für weniger digitalaffine Nutzergruppen.

Unser Fazit:

Dänemark verfügt im Hinblick auf seine Digitalisierungs-Governance – ähnlich wie Deutschland – über eine komplexe Stakeholder-Landschaft und ist dennoch ausgesprochen erfolgreich. Entscheidendes Element dieses Erfolgs ist die DIGST, die in jeder Governance-Ebene positioniert ist und wiederum aus jeder Ebene heraus die jeweils anderen Ebenen mitdenkt, also Ende-zu-Ende agiert.

Die weitergehende Analyse zeigt drei zentrale Erfolgsfaktoren auf, die richtungsweisend für die Weiterentwicklung des deutschen Governance-Modells sein können:

  • Das Ohr ans Gleis legen: Sektoren- sowie ebenenübergreifende Beteiligungsformate integrieren und kanalisieren Fachanforderungen in die Politikgestaltung und bilden damit den Ausgangspunkt für die weitere Vorhabenentwicklung. Dänemark leistet dies zum Beispiel durch einen intensiven Bürgerdialog und eine holistische Digitalstrategie.
  • An einem Strang ziehen: Gemeinsame Arbeitsforen, die gleichermaßen auf Kollaboration wie Zielorientierung ausgerichtet sind, fördern eine fokussierte Zusammenarbeit – von der Ideenfindung bis zur Umsetzung. Dänemark schafft dies etwa durch die gezielte Nutzung von Praxispartnerschaften mit der Wirtschaft und ressortübergreifende Steuerungskomitees für die Interoperabilitätssicherung.
  • Fördern und fordern: Ein standardisierter Vorgehensrahmen für alle IT-Projekte bildet die unterstützende wie auch steuernde Grundlage einer ergebnisorientierten Strategieumsetzung und Vorhabenimplementierung. Dänemark gelingt dies unter anderem aufgrund des verbindlichen Einsatzes des ICT project models.

Welche konkreten Impulse kann das dänische Modell aus Ihrer Sicht für die deutsche Digitalisierungs-Governance liefern? Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen!

Weitere Beiträge zum Thema

  • Warum ein erfolgreiches Governance-Modell nur einer von vier Hebeln für eine schlagkräftigere öffentliche Verwaltung ist, erfahren Sie im aktuellen Beitrag von Corinna Krezer.
  • Wie andere digitale Spitzenreiter ihre Governance-Modelle gestalten erfahren Sie hier.

WRITTEN BY

Dr. Nils Beier​​

Managing Director – Leiter des Bereichs Strategy für Public Sector und Banken