Net-Zero: Auch ein Marathon fängt mit einem guten Start an.

Der Klimawandel ist die wohl größte Herausforderung unserer Zeit. Nur gemeinsam können wir sie bestehen. Politische Vorgaben setzen einen wichtigen Rahmen – aber auch nicht mehr: Geht es um die Zukunft unseres Planeten, ist jeder Einzelne gefordert, sich und sein Handeln zu hinterfragen und umzustellen. Während immer mehr große Unternehmen dabei sind, ihre CO2-Einsparungsziele entlang ihrer Wertschöpfung zu konkretisieren (als konkrete Investition in ihre Marke), zögern Teile der Energiewirtschaft noch – auch in Deutschland. Was macht es schwer, in großem Umfang in Klimafreundlichkeit zu investieren? Und noch wichtiger: Wie lassen sich Hürden überwinden?

Energie ist eines der essenziellsten Güter: Die digitale, mobile Gesellschaft steht und fällt mit Elektrizität. Und schauen wir auf Energiekonzepte der Zukunft, werden wir noch mehr Energie brauchen, um neue Energie zu erzeugen. Geht es nach der Europäischen Union, werden bis 2030 zwischen 24 bis 42 Milliarden Euro in die Wasserstofferzeugung investiert – und dazu etwa das Zehnfache davon in Wind- und Sonnenkraftanlagen, um die Elektrolyse zu „befeuern“.1 Schon heute liegt der Anteil der Eneuerbaren an der Gesamtproduktion in Europa bei 43 Prozent2 – doppelt so hoch wie noch 2018 3. In Deutschland erreichte er laut Fraunhofer Institut im ersten Halbjahr 2020 sogar 55,8 Prozent4. Tendenz weiter steigend, die Energie- und damit die Klimawende quasi zum Greifen nah.

Angesichts dessen muss erstaunen, dass die Ökostrom-Quote im Energie-Mix der meisten deutschen Anbieter die 10-Prozent-Marke nur selten reißt – und das, obwohl ihre Marketingkommunikation anderes verheißt. „Wollen“ und „tun“ gehen scheinbar auseinander.

Zwei Thesen könnten diese Divergenz erklären:

  • Energieversorgung ist in Deutschland eine Mittelstandsaufgabe. Wir finden in diesem Markt viele Stadtwerke und vergleichsweise wenige überregionale Akteure. Das begrenzt auchInvestitionsbudgets, Marktmacht und -einfluss und damit vielleicht das Gefühl, einen wirksamen Beitrag zu einem globalen Thema leisten zu können. Womöglich stehen auch strategische Kapazitäten nicht in gleichem Umfang zur Verfügung wie bei großen, überregionalen Playern.
  • Nur wenige deutsche Energieversorger sind noch in der Erzeugung aktiv. Im Energiemarkt liegt der größte CO2-Hebel naturgemäß in der Produktion. Wer nicht produziert, hat vermeintlich weniger Möglichkeiten, etwas zu bewirken. Als Absolutbeitrag ggf. richtig, als eigener Beitrag vielleicht eine Fehleinschätzung.

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„Wir sind die erste Generation, die die Auswirkungen des Klimawandels bereits zu spüren bekommt, und die letzte, die etwas dagegen unternehmen kann." - Barack Obama, ehemaliger US-Präsident, 2015

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Letztlich sind natürlich alle Akteure der Energiewirtschaft gleichermaßen im Fokus der Öffentlichkeit, der eigenen Kundschaft, der jeweils regionalen Interessenparteien. Und die Branche selbst ist natürlich auch eine Orientierung als Leitbild – eben durch die wahrgenommene Nähe zu Uran, Kohle, Erdgas, Öl und neuerdings dann Wasserstoff. Was von Verbrauchern erwartet wird? Dass sie sich auf ihre Möglichkeiten konzentrieren, ihre Kaufkraft nutzen, ihr Konsumverhalten im Kleinen verändern, um zur Erreichung der EU-Ziele beizutragen. Das wird auch von der Energiewirtschaft im Großen erwartet werden – über alle Größenordnungen von Unternehmen hinweg.

Es geht doch mehr ...

... als man denkt. Energieversorger, ob groß oder klein, sind ein Teil eines Energie-Ökosystems, zu dem weit mehr als Erzeugung und Verteilung gehören. Einige Gedankenspiele ...

  • Sie haben die Hand auf dem Einkauf und könnten den Anteil erneuerbarer Energien am Strom-Mix erhöhen, um der wachsenden Nachfrage zu entsprechen – wenn es ihnen zugleich gelingt, dies mit einzupreisen, im Markt zu erklären und ggf. sogar differenzierend zu nutzen. Kurz: Käuferschaft mitzunehmen und wenigstens teilweise aus dem Dumping-Wettbewerb auszusteigen.
  • Sie könnten sich systematischer in Bereiche wie E-Mobilität, Ausbau von Ladeinfrastruktur oder auch Smart-Home-Lösungen einbringen und diesen als Teil/Ergänzung ihres Portfolios auch unter dem Nachhaltigkeitsaspekt vermarkten.
  • Sie können sich mit anderen Stakeholdern und Branchenpartnern vernetzen, um neue Konzepte und innovative Ideen zu entwickeln und gemeinschaftlich umzusetzen. Dazu gibt es entlang des gesamten Unternehmens viele Ansätze zu verantwortlicher Nutzung von Ressourcen. Die meisten Ansätze sind klein (verglichen mit dem Primärenergieverbrauch zur Stromerzeugung), aber sie tragen zur Markenwahrnehmung als Versorger, regionalem Player und auch Arbeitgeber bei.

Ob E-Car-Sharing im Pay-per-Use-Modell oder als Leasing, ob Mitgestaltung von Nutzungsmodellen für private Ladeinfrastruktur (à la AirCnC – Connect and Charge) oder Paketlösungen für dezentrale Erzeugung: Es gibt viel, was geht, wenn man gemeinsam überlegt (siehe Accenture and Eurelectrics Report: „Seeking shared success: Empowering consumers in the energy transition“).

Aber es braucht einen Rahmen und eine  Strategie

Net-Zero – Null-Emission – das ist sicher kein kleines Thema. Es betrifft uns alle, wird jeden berühren und sich am Ende durchsetzen (müssen).

Vor allem aber ist Null-Emission eine strategische Herausforderung. Und die erfordert eine tiefe Auseinandersetzung mit allen Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette und in allen Teilen des Unternehmens – also eine echte Kraftanstrengung. Dabei gilt es, viele Einzelfragen zu beantworten, Transparenz zu schaffen und Entscheidungen zu treffen.

Beispiele hierfür:

  • An welcher Stelle unserer Aktivitäten haben wir wie auf CO2- und klimarelevante Aspekte Einfluss? Wo ist das Unternehmen verantwortlich? Wo vorgelagert, wo nachgelagert?
  • Welchen „footprint“ verursachen wir tatsächlich? Was emittieren wir – direkt und indirekt? Wo werden wir etwas ändern? Was soll unser Beitrag sein? Womit fangen wir an?
  • Wie kaufen wir in Zukunft ein? Wohin können wir unseren Ökostrom-Anteil bis wann bringen? Was bedeutet das in der Vermarktung?
  • Wie ist unsere Position bei erweiterten Leistungen? Wie wollen wir unser Portfolio ausrichten? Wie stehen wir zu Home-Office, E-Mobilität etc.?
  • Wie werden wir Prioritäten setzen? Wie können Minimal- und Zwischenziele aussehen?

Heute besteht eine besondere Chance darin, sich nachhaltig und konsequent in diese Richtung zu positionieren. Morgen könnte es nachteilig sein, diese Antworten (noch) nicht zu haben.

Von einem sind wir jedoch überzeugt: Das wird ein Marathon, kein Sprint – aber beides fängt mit einem guten Start an!

 

Quellen:

1 Windpower monthly

2 Word Economic Forum Study: Share of renewable generation reached 43%in the same period, increasing by 8% since 2019.

3 Google search: Anteil erneuerbarer Energien Europa

4 Fraunhofer ISE

Tobias Gehlhaar

Geschäftsführer Chemie, Grundstoffindustrien/ Energie, Versorgungswirtschaft, ASG

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