OZG: Digitalisierung ist, wenn die Nutzung steigt
15.09.2021
15.09.2021
Bis Ende 2022 will der Bund gemäß Onlinezugangsgesetz (OZG) 575 Verwaltungsleistungen digitalisieren: bürgerfreundlich und so, dass Ländern und Kommunen der Vollzug der Services auf einer gemeinsamen Basis leicht fällt. Das Zeitfenster für die Umsetzung ist eng. Doch die größere Frage ist, wie die neuen digitalen Services auch möglichst viele Nutzer finden, damit die erwarteten Potenziale tatsächlich gehoben werden?
Dass hier der Teufel oft weniger in der technischen Umsetzung, sondern weit mehr in der Vermarktungsfähigkeit der Angebote liegt, wird erst mit zunehmender Erfahrung deutlich. Ja: Echte Effekte – in Form von Entlastung für Behörden und schnellerer Bearbeitung für Anspruchsberechtigte – entstehen natürlich dann, wenn wir endlich dazu kommen, auch die Prozesse hinter den Online-Formularen zu automatisieren. Mindestens ebenso wichtig ist aber, die gute Sache auch an die Kunden zu bringen. Und für beides ist es essenziell, dies schon bei Konzeption und Design der Services mitzudenken.
Vermarktungsfähigkeit mitdenken: Mit dem „Einer für Alle“-Prinzip die Nutzerwerbung ankurbeln
Leuchtturmprojekte wie ELSTER-Online oder das digitale Elterngeld zeigen: Digitale Verwaltungsleistungen, insbesondere die des Bundes, dürfen zur Marke werden – mit einem übergreifenden Bekanntheitsgrad und Erlebniswert – weil es um Nutzergewinnung geht. Und dafür lässt sich schon bei der Priorisierung im Projekt sowie bei Konzeption und Design viel tun: Wer die am häufigsten gefragten Leistungen priorisiert, hat es leichter, die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit zu bekommen; zudem hilft das „Branding“, Nutzerströme mit übergreifender Kommunikation auf zentrale Portale zu leiten und dort zu kanalisieren. Das wiederum bietet den vollziehenden Landes- und Kommunalbehörden zusätzlichen Anreiz, sich an den gemeinsamen Ansatz anzuschließen und individuelle Altlösungen abzuschalten, weil sie ihre Nutzer nicht länger gesondert ansprechen müssen.
Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass auch ihre Belange bei Konzeption und Design ausreichend berücksichtigt wurden – und da geht es oft um technologische sowie personelle Ausstattung: Um eine Harmonisierung und die Nachnutzungsfähigkeit im föderalen Umfeld zu begünstigen, ist ko-kreatives Arbeiten Ende-zu-Ende unerlässlich. Es gehört heute zu DNA jeder Projektarbeit, auch mit der öffentlichen Verwaltung. Doch zeigt sich: Das „Einer für Alle“-Prinzip hat nicht nur eine IT-technische, sondern auch eine vermarktungstechnische Dimension.
Die Brücke zur großen Menge der Nutzer:innen schlagen
Zu einem ganzheitlichen Ansatz gehört dem entsprechend, was zuletzt auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die Deutsche Rentenversicherung (DRV) erarbeiteten:
Beide Bundesbehörden wollten ihre Schnittstelle zu den Bürger:innen vollkommen neu gestalten – ein konsequent lebenslagenorientiertes, intuitiv bedienbares digitales Angebot schaffen. Ganz so, wie es das Onlinezugangsgesetzt (OZG) vorsieht. In cross-funktionalen Design-Thinking- und Rapid-Prototyping-Formaten konnte Expert:innen der Behörden von Bund, Ländern und Kommunen mit Bürger:innen und unterstützt von Accenture gleich in zwei Fällen in nur wenigen Monaten die Customer Journeys für typische Nutzergruppen überarbeiten, ergänzen und in einem ganz anderen, intuitiv navigierbaren Gewand an den Start bringen.
Dabei senkten sie gezielt die Schwellen auf dem Weg zum Online-Angebot. Das beginnt mit Bekanntheit: mit einprägsamen Namen, Adressen und Zutrittsoptionen – und damit, dass beim OZG-Vorhaben zuerst die ohnehin prominenten Services in den Fokus rücken (diese Priorisierung macht es übrigens auch weniger kritisch, wenn am Ende der Zeitrahmen doch nur für den überwiegenden Teil und nicht für die vollständige Service-Digitalisierung reicht). Auch die Erfahrung, wie einfach der digitale Kontakt funktioniert und dass er vertrauenswürdig ist, trägt dazu bei, Schwellen zu senken. Ganz oft entscheidet, dass wir die Menschen an die Hand nehmen, sie durch das Angebot führen, es erklären und sie bis zum Abschluss begleiten.
Ko-Kreation lässt sich industrialisieren
Diese Erfolge zeigen: Echte Effekte entstehen dann, wenn wir nicht nur die Belange aller Beteiligten abbilden und uns früh Gedanken um die technische Umsetzung sowie den weiteren Betrieb machen, sondern von Anfang an auch die Vermarktungsfähigkeit der Lösungen an möglichst viele Nutzer und die Begleitung des Changes in der Projektplanung berücksichtigen und in die digitalen Angebote hinein-designen. Das Bürger- und Geschäftskundenportals (BuG), das mit ITZBund für die Generalzolldirektion nach den gleichen Prinzipien entstand, erhielt dafür den 1. Preis in der Kategorie „Bestes Projekt zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes" beim 18. eGovernment-Wettbewerb.
Für die weitere Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes, die einen Meilenstein in der gesamten eGovernment-Historie bedeutet, müssen wir dieses ganzheitliches Herangehen in Ko-Kreation so weit wie möglich industrialisieren. Denn das Zeitfenster ist eng, das Vorhaben umfangreich und komplex und die öffentlichen Erwartungen sind hoch. Bei solchen Digitalisierungsherausforderungen, die ähnlich auch in anderen europäischen Ländern bestehen*, wird es sich auszahlen, die Qualitäten von Digitaldesign-Agenturen und Nischenanbietern mit der Größe und den Ressourcen großer IT-Unternehmen zu verschränken.
* Agile Transformation mit WienIT sowie Portal Digitale Schule des österreichischen Bundesministeriums Bildung, Wissenschaft und Forschung