Autonom agierende Roboter werden zum Game Changer
16.03.2022
16.03.2022
Der mechanische Anlagenläufer ANYmal inspiziert selbständig weitläufige Industriegelände und lädt die gesammelten Informationen in eine Daten- und Digital-Twin-Plattform von Cognite hoch. Dort werden sie KI-gestützt ausgewertet und mit Handlungsempfehlungen ans Wartungsteam weitergeleitet. Im Accenture Industrie X Innovation Center auf dem Gelände des UNESCO-Welterbe Zeche und Kokerei Zollverein in Essen lässt sich diese nächste Stufe der Automatisierung in der Industrie beobachten.
Aus vielen Unternehmen sind Roboter nicht mehr wegzudenken – etwa als Rückgrat der industriellen Fertigung oder optimierten Lagerhaltung und Supply Chain. Nur mit ihrer Hilfe lassen sich die meisten Produkte kostengünstig und qualitativ hochwertig herstellen. Doch von dieser Automatisierung profitierten bislang nicht alle Branchen gleichermaßen, denn klassische Industrieroboter sind nur eingeschränkt einsetzbar. Ihr Aktionsradius ist auf einen eng bemessenen Einsatzort begrenzt, und sie folgen ohne große Autonomie ihrer programmierten Routine.
Roboter an Fertigungslinien der Autoindustrie etwa entlasten den Menschen, indem sie Teile schneller und präziser einbauen. Aber sie agieren stationär und treffen keine eigenen Entscheidungen. Nun allerdings beginnt ein neues Zeitalter. Der Einsatz von Robotern ermöglicht eine neue Stufe der Hyperautomatisierung. Künftig werden autonome Robotersysteme auch in zusätzlichen Wirtschaftsbereichen eine enorme Bandbreite an Aufgaben erledigen und dabei mit einem hohen Grad an Autonomie selbständig Entscheidungen treffen. Inspektionsgänge in weitläufigen Anlagen der Chemie- und Grundstoffindustrie beispielsweise dürften bald eine Domäne von Robotern sein.
Ermöglicht wird diese Hyperautomatisierung durch rasante technologische Fortschritte bei der Hard- und Software, weshalb Roboter quasi in die freie Wildbahn entlassen werden und autonom agieren können. Ihre Mobilität erhalten sie beispielsweise durch den Tieren nachempfundene Beine, ihre Wahrnehmungsfähigkeit durch Kameras, Laserscanner oder Sensoren zur Erfassung etwa von Entfernungen und Temperaturen. Schon diese erweiterten Fähigkeiten haben das Zeug zum Game Changer. Ihre Handlungs- und vor allem Entscheidungsfähigkeit – sprich Intelligenz – bekommen Roboter künftig durch Interaktion mit einer Datenplattform, die wiederum mit den IT- und/oder OT-Systemen des Unternehmens verbunden ist. Die zur Datenauswertung erforderlichen Algorithmen und KI-Systeme sind inzwischen bezahlbar. Auch darin steckt das Potenzial zum Game Changer. In einer funktionsübergreifenden Zusammenarbeit optimal konzipiert, entsteht durch das Verschmelzen der Kompetenzen und Fähigkeiten von Menschen und Maschinen so eine umfassende kollaborative Intelligenz.
Was das konkret bedeutet, kann man im Accenture Industrie X Innovation Center in Essen studieren. Das Innovationszentrum auf dem Gelände des UNESCO-Welterbe Zeche und Kokerei Zollvereinunterstützt Unternehmen der Prozessindustrien, Chemie- und Stahlbranche sowie Energiewirtschaft dabei, ihre Werke und Produktion zu vernetzen, smarte Produkte und Services zu entwickeln sowie Innovation im Kerngeschäft zu verankern.
Ein Beispiel für Inspiration, Ideenentwicklung und Co-Kreation ist neuerdings im Gebäude und bald auf dem weitläufigen Gelände des früheren Steinkohlebergwerks unterwegs: Der autonom funktionierende Roboter ANYmal zeigt, wie sich Industrieanlagen mithilfe maschineller statt menschlicher Anlagenläufer sicherer, kostengünstiger und effektiver inspizieren sowie instand halten lassen. Entstanden ist die integrierte Gesamtlösung in enger Zusammenarbeit zwischen Accenture, dem Roboterhersteller ANYbotics und Cognite – die Daten- und Digital-Twin-Plattform dieses Anbieters werden zunehmend etwa in der Chemie- und Grundstoffindustrie angewendet. ANYmal demonstriert, wie Maschinen die Menschen nicht nur von gefährlichen, dreckigen oder langweiligen Tätigkeiten entlasten, sondern sogar zusätzliche wertschöpfende Tätigkeiten übernehmen können, beispielsweise Datenanalysen.
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Darstellung des digitalen Zwillings des Accenture Industry X Innovation Center, Essen und Sensordaten des ANYmal Roboters mit Cognite Data Fusion
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Ein wichtiger Anwendungsaspekt ist das Erkennen bestimmter Zustände in Anlagen, die besonders sicherheitsrelevant sind, beispielsweise von Abnutzungen, Leckagen oder Korrosion. Gasaustritte in Gefahrenbereichen können per Roboter ebenfalls leichter detektiert werden – und vor allem, ohne dass sich dafür Menschen in Gefahr begeben müssen. Auch die Überprüfung der Einhaltung von Vorsichtsmaßnahmen für Gesundheit und Sicherheit steht oft im Fokus. In Bestandsanlagen mit analogen Anzeigen oder nicht vernetzter Steuertechnik dient ANYmal als mobiler Sensor und ermöglicht so die Ferndatenerhebung von Prozessparametern. Häufig ist auch die 3D-Erfassung der gesamten Anlage im Ist-Zustand interessant für den Abgleich mit Planungsdaten. Ein weiteres, in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzendes Einsatzfeld ist die viel einfachere Überwachung der generellen Sicherheit ausgedehnter, oft unübersichtlicher Liegenschaft, etwa mit Blick auf sich dort unbefugte aufhaltende Personen.
ANYmal ist für den Einsatz in weitläufigen Industriegeländen optimiert. Mithilfe seiner Sensoren bewegt er sich auf vier Beinen wie ein Hund auf unebenem Untergrund, steigt Treppen, umgeht Hindernisse, erreicht Inspektionspunkte aus mehreren Richtungen. Daten und Informationen sammelt er durch diverse Wahrnehmungstechnologien. Er kann Zahlen übernehmen, optische Auffälligkeiten im Bild dokumentieren, Temperaturen oder Abstände messen, Geräusche aufnehmen. Dass er sich Positionen exakt merkt, ermöglicht Langzeitbetrachtungen neuralgischer Punkte mit einer Genauigkeit, die Menschen kaum leisten könnten. Beispielsweise, indem ein Punkt wochenlang jeden Tag mit identischem Abstand und Winkel fotografiert wird. Selbst widrigste Witterungsbedingungen stören ANYmal dabei nicht, denn der Körper ist 100% wasser- and staubfest. ANYbotics bietet auch eine explosionssichere Version von ANYmal an – also ideal für den Einsatz in potentiell explosiven Zonen der Chemiebranche. Zum Roboter der Zukunft macht ihn neben diesen technisch-mechanischen Merkmalen vor allem auch eine intelligente Steuerung: Er kann ohne permanente Verbindung zur Leitstelle autonom über das Gelände laufen, für seine Aufgaben selbständig optimale Routen identifizieren, die Arbeit erledigen und zur Docking-Station zurückkehren.
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Inspektionergebnisse für ein Asset mit der Wärmebildkamera des ANYmal Roboter, dargestellt in Cognite Data Fusion
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Auf einer Datenplattformen werden von Robotern gesammelte Daten KI-gestützt analysiert
Zur Hyperautomatisierung gehört aber mehr als ein großer Aktionsradius und hohe Autonomie – Roboter sind vor allem dann effektiver und effizienter, wenn sie eng in die Bestandssysteme eingebunden werden und zusätzliche Aufgaben übernehmen. Hier kommt die Daten- und Digital-Twin-Plattform von Cognite ins Spiel: Das Unternehmen ist darauf spezialisiert, Daten in IT- und OT-Systemen eines Unternehmens zu verknüpfen und mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) verschiedenste Zusammenhänge zu erkennen. Schon während der Mission oder sobald ANYmal zur Docking-Station zurückkehrt, überspielt der Roboter die gesammelten Erkenntnisse aus seinem Inspektionsrundgang in diese Datenplattform. Dort analysiert die KI alle Zahlen, Bilder oder Geräusche und alarmiert bei Auffälligkeiten unverzüglich das Wartungsteam. Diese Vorarbeit der KI erspart den Menschen, sich möglicherweise tausende Bilder einzeln ansehen zu müssen. Sie können sich sofort auf vom Roboter markierte Aufnahmen abseits der Norm konzentrieren, etwa Fotos neuer Rostflecken oder Daten zur Verformung von Rohren und sich setzenden Anlagenteilen. Dadurch optimiert der Roboter- und KI-Einsatz die Wartung und Instandhaltung.
Nach Optimierung der Prozesse entfalten Roboter und Datenplattform ihr volles Potenzial
Voraussetzung dafür ist eine reibungslose Integration der Hard- und Software, ein zielgerichteter Einsatz der KI sowie das Aufsetzen optimaler Prozesse. Dieser Part in der Kooperation liegt bei Accenture. Nur mit den passenden Schnittstellen lassen sich Daten problemlos vom Roboter an die Datenplattform übergeben und von dort an andere IT-Systeme weiterreichen. So könnte die Analyse der von ANYmal gesammelten Informationen künftig beispielsweise Probleme offenlegen, für deren Behebung automatisiert ein Wartungsticket erstellt wird. Identifiziert der Roboter etwa nach einem Sturm herumliegende Äste, kann er selbständig ihre Beseitigung veranlassen.
Im Gegenzug könnte das Wartungs- und Instandhaltungssystem den Roboter automatisch auf Kontroll- oder Wartungstouren schicken, ohne einen Menschen einzuschalten. Die integrierte Datenplattform macht's möglich. Idealerweise sollten bei der Implementierung des Systems auch gleich die Einbindung in die Abläufe bedacht werden, so dass der Roboter und die Datenplattform ihr volles Potenzial entfalten können. Auch diese Aufgabe übernimmt Accenture – ebenso wie das Training der KI auf die speziellen Bedingungen, damit sie Probleme zuverlässig erkennt.
Perspektivisch rechnen sich leistungsfähige, KI-unterstütze Roboter allerdings nur, wenn die Nutzer selbst Grundkompetenzen zum Erstellen der für neue Einsatzfelder benötigten Modelle sowie das Trainieren der Künstlichen Intelligenz erwerben – und die eigenen Leute voll hinter dem Einsatz dieser autonomen Maschinen stehen. Deshalb sollten solche Projekte aus Sicht des Unternehmens stets zwei wichtige Aspekte berücksichtigen, bei denen Accenture ebenfalls unterstützen kann.
Unabdingbar ist erstens ein begleitendes Change Management, damit alle unmittelbar Beteiligte die Vorteile des Robotereinsatzes sowie der veränderten Prozesse verstehen und die Einführung aktiv mitgestalten. Roboter sollen die Menschen entlasten, damit diese sich auf werthaltigere Aufgaben konzentrieren können, als beispielsweise monotone Rundgänge durchzuführen – schließlich stellt der Fachkräftemangel auch die Chemie- und Grundstoffindustrie vor Herausforderungen.
Zweitens erfordert eine erfolgreiche Mensch-Roboter-Zusammenarbeit auch Grundkenntnisse und Erfahrung im Umgang mit Robotern und KI-Systemen. Die Schulung darin sowie die Anwendung der neuen Techniken in der Digitalisierung machen Arbeitsplätze in Wartung und Instandhaltung zugleich interessanter und wertet sie auf. Dank grafischer Benutzeroberflächen ist aber nicht zu befürchten, dass die Beschäftigten sich zu Informatikern und KI-Experten umschulen lassen müssen.